Kurt und Thea Siegel
Wirtsleute vom „Binger“ in Sieberatsreute
Die diesjährigen Blutfreitagsgeschichten ranken sich um unsere Mitglieder Kurt und Thea Siegel, geborene Binger, und um deren Pferde, die Schimmel Pascha, Mariano und Loran. Die Wirtsleute der legendären Wirtschaft „Binger“ in Sieberatsreute bei Waldburg stellen ihre Pferde nunmehr zum 23. Male in den allerhöchsten Dienst, den man sich bei uns im Oberland für ein Pferd vorzustellen vermag: Heilig-Blut-Reiter-Pferd von Weingarten. Pascha hieß das erste aus Siegel’schem Stall und nun trägt Mariano den Heilig-Blut-Reiter durch Stadt und Fluren, dicht gefolgt von Loran, der als Ersatzpferd seinem Vorbild nacheifernd, dereinst diese Aufgabe übernehmen soll.
Der Reiter und sein Pferd
Wenn in der Frühe des Blutfreitags der Heilig-Blut-Reiter an den Stufen der Basilika hoch zu Ross und gekleidet in festlich-liturgische Gewänder die Heilig-Blut-Reliquie feierlich in Empfang nimmt und wenn sein Schimmel makellos vom Hufe bis zum Schweif und aufgezäumt mit blitzendem Muschelzaumzeug in vorbildlicher Haltung verharrt, als wüsste er um das heilige Tun, dann liegen die Wochen der gewissenhaften Vorbereitung hinter dem Reiter und seinem Pferde. Vor ihnen liegt die Segnung der Blutreitergruppen mit der Heilig-Blut-Reliquie an den jeweiligen Aufstellungsplätzen und der elf Kilometer lange Prozessionsweg, gesäumt von Pilgern zu tausenden.
Viele sind von weit her zum höchsten Festtag des Oberlandes gepilgert und warten gläubig auf ihre ganz persönliche Begegnung mit der Reliquie und dem Heilig-Blut-Reiter, um von ihm den Segen zu empfangen. Andere drängen sich in großer Zahl an den Altären, sie wollen die Frohe Botschaft dieses Tages vernehmen.
Dies alles mit Würde, gläubiger Sammlung und Zuwendung zu den Menschen, im Rampenlicht einer immer breiter werdenden Öffentlichkeit, zu vollziehen, stellt in vielerlei Hinsicht höchste Anforderungen an den Heilig-Blut-Reiter und auch an sein Pferd.
Sieberatsreute
Die schmale Straße führt von Schlier aus durch weites Bauernland Richtung Sieberatsreute, das eingebettet von Wiesen, Feldern und Wäldern in einer Senke ruht, und über allem thront weithin sichtbar majestätisch die mittelalterliche Waldburg. Dann taucht, mitten in der Ortschaft gelegen, auf einer kleinen Anhöhe, „d’r Binger“ auf. „Ausgezeichnet aufgehoben“ sei der Gast dort, vermeldet die Urkunde des Gastroführers „seezunge“ in der Kategorie „Landgut“. Und „des scho’ seit 166 Jahr‘“ möchte man gleich hinzufügen, denn damals im Jahre 1845 eröffnete Pauline Binger ebenda eine Schankwirtschaft mit Bäckerei als Teil ihrer umfangreichen Landwirtschaft.Ausgeschenkt wurden hauptsächlich „Moscht“ und „Schnäpsle“ aus der hauseigenen Brennerei. 1982 übernahmen dann die Siegels, nunmehr in der vierten Generation, „den Binger“ mit Wirtschaft, Landwirtschaft und Metzgerei, wobei „’s Hauptg’schäft“ immer noch bei der Landwirtschaft lag, und bis heute werden sie umsichtig und fleißig von der sechsundachtzigjährigen Anna Binger, der Mutter von Thea Siegel, sachkundig unterstützt.
Bauern und Pferde
Bis in die siebziger Jahre waren Pferde auf den bäuerlichen Anwesen unverzichtbar. Tag für Tag von früh bis spät verrichteten sie harte Arbeit, als „Ackergäule“, auf dem Feld und „beim Holzstrecken im Wald“. „Bloß an ei’m Tag hand’se Urlaub ’kriegt.“ Dann nämlich, wenn das Heilige Blut die Bauern zum Blutritt nach Weingarten rief.
Frisch gestriegelt und herausgeputzt wurden sie gen Weingarten geritten und „manchen Gaul hasch’ du schier nimme ’kennt!“ Auch Theas Vater und der Großvater waren treue Waldburger Blutreiter, die es sich gar nie nehmen ließen, Bitte und Dank für Haus und Hof zum Hl. Blut nach Weingarten zu tragen. Alles andere musste zurückstehen. Von ihrem Vater weiß Thea, dass er bis zu seinem frühen Tod 1968 fünfundzwanzig Mal am Blutritt teilgenommen hat und dass er aus Dankbarkeit eine Standarte stiftete, die er selbst geritten hat und die bis heute bei der Blutreitergruppe Waldburg mitgetragen wird zur Ehre des Heiligen Blutes und im Gedenken an den getreuen Blutreiterkameraden Wilhelm Binger aus Sieberatsreute.
Aufgewachsen in einer bäuerlichen Blutreiterfamilie ist Thea von klein auf mit dem Blutfreitag und den Arbeiten und Vorbereitungen rund um den Blutritt bestens vertraut und vielleicht war es eine blutfreitägliche Fügung, dass sie den Waldburger Bauernburschen Kurt Siegel lieben lernte. Auch er von einem großen Hof mit Viehhandel und Wirtschaft stammend. Mit seiner Thea teilt er seine innige Verbundenheit zum Blutfreitag von Kindesbeinen an.
Martinsberg
Wenn der kleine Kurt die Verwandtschaft in Weingarten über Blutfreitag besuchen durfte, machte er sich in aller Herrgottsfrühe an der Hand des geliebten Onkels auf den Weg in eine blutfreitägliche Welt, die den meisten Pilgern immer verschlossen bleiben wird.
Wenn der kleine Kurt die Verwandtschaft in Weingarten über Blutfreitag besuchen durfte, machte er sich in aller Herrgottsfrühe an der Hand des geliebten Onkels auf den Weg in eine blutfreitägliche Welt, die den meisten Pilgern immer verschlossen bleiben wird.
Die Sakristei der Benediktinerabtei war Ziel ihres eiligen Marsches. Auf dem Martinsberg herrschte bereits rege Betriebsamkeit, Pilger strebten in die Basilika und viele hatten dort betend die ganze Nacht verbracht, Ordnungskräfte gingen gewissenhaft ans Werk, Reiter und Pferde fanden sich auf dem Klosterhof ein und endlich durchschritten sie die Tür der Sakristei. Patres und Brüder der Benediktinerabtei Weingartens eilten geschäftig durch die Gänge, der Mesner befahl mit unterdrückter Stimme aber unmissverständlich seine Ministranten an ihre Aufgaben, die Zelebranten hüllten sich in ihre goldbestickten Gewänder und der Onkel schlüpfte in einen schwarzen Mantel und kramte nach weißen Handschuhen. Und dann standen beide vor etwas ungeheuerlich Großem und Schwerem, das dem kleinen Pilger fast den Atem nahm: die berühmte Weingartener Heilig-Blut-Fahne.
Vier starke Männer sind notwendig, um dieses zentnerschwere, einmalige und wertvolle Zeichen der Heilig-Blut-Verehrung würdig durch die Straßen zu tragen.
Und Kurts Onkel war einer davon! Unbändiger Stolz durchrieselte ihn, wenn der Onkel [1] auf dem Münsterplatz mit ernstem Gesicht an ihm vorüberschritt „des han i’ nie vergesse“.
Als zwölfjähriger Ministrant war Kurt Siegel dann erstmals Blutreiter bei den Waldburgern. Insgesamt sollte er dann zwanzig Mal am Blutritt teilnehmen, bis ihm aus gesundheitlichen Gründen das Reiten nicht mehr möglich war.
[1] Beim beschriebenen Onkel handelt es sich um unser verstorbenes Mitglied Walter Weiler
Heute
Längst hat sich die kleine Schankwirtschaft zum stattlichen Landgasthof und die alte Hofeinfahrt zur blumengeschmückten Gartenwirtschaft gemausert. Herzlich sorgt sich Thea um ihre Gäste und der gelernte Kaufmann Kurt ist schon Jahre mit seinen „gut bürgerlichen schwäbischen Gerichten“ (Zitat „seezunge“) für deren leibliches Wohl zuständig.
Mit Gespür und ideenreicher Tatkraft haben die Siegels inzwischen Metzgerei samt Stall zum geräumigen, kachelofengemütlichen Nebenzimmer umgebaut. Und die Landwirtschaft „isch völlig verschwunde’“. Was würde wohl die Gründerin Pauline Binger zu den grundständigen Veränderungen auf dem Hof sagen?Nur eines bleibt und hat Bestand: Die enge Verbindung zum Blutfreitag, die die Familie seit Generationen überzeugend pflegt. Nähert man sich dem Binger sozusagen von seiner Kehrseite her, findet man sich unvermittelt in einem Stall wieder. Es bellt und wedelt der Hund, „d’ Saue’ grunzet“, und da schnauben zwei Pferde: der Schimmel Mariano, das Pferd der Heilig-Blut-Reiter von Weingarten, und sein Begleiter Loran.
Ein Schimmel muss es sein !
Eigentlich hatte alles mit dem Weingartener Kinderfest angefangen. Kurt, der ehemalige Vorstand des Waldburger Reitvereins, bereicherte mit seinem Pferdegespann mehrere Jahre den Umzug am Kinderfestmontag; er saß auf dem Kutschbock des „Mühlengespanns“. Dass er einmal am Rathaus „an Mühle’flügel g’opfret“ hat, weil er die Rechtskurve zu eng nahm und mit der Straßenlaterne nähere Bekanntschaft machte, hat mit der Sache nichts zu tun und soll nur am Rande erwähnt werden.
Auf alle Fälle suchte die Blufreitagsgemeinschaft gerade zu jener Zeit, also Ende der achtziger Jahre, ein geeignetes Pferd für den Heilig-Blut-Reiter und ein Schimmel musste es sein. Darauf pochte energisch und temperamentvoll der unvergessene Weingartener Benediktinermönch, Seelsorger, Stadtpfarrer und Heilig-Blut-Reiter Pater Basilius Nägele OSB.
Seine lebhaft vorgetragenen Argumente sind unvergessen: „Das Pferd des Fürsten ist der Schimmel“ und „Napoleon wird in Siegerpose stets auf einem Schimmel reitend dargestellt“. Dann sei es also nur recht und billig, den Heilig-Blut-Reiter ebenfalls mit solch fürstlichem Attribute auszustatten. Wer wollte da widersprechen?
Schließlich wurden die Fachleute der Blutfreitagsgemeinschaft fündig. Auf einem Foto vom Kinderfestumzug entdeckten sie ihn, den Langgesuchten und seinen Besitzer: Kurt Siegel mit seinem Schimmel „Pascha“. Eine entsprechende Anfrage wurde von der Familie Siegel ohne langes Zaudern positiv beschieden: Ihr Schimmel sollte das Pferd des Heilig-Blut-Reiters werden. Zudem hatte „Pascha“ bei der Waldburger Blutreitergruppe als Pferd des örtlichen Pfarrers Kammerer Konrad Butscher sein blutfreitägliches Talent schon des Öfteren unter Beweis gestellt. Am Blutritt 1989 war dann die gelungene Premiere als Pferd des Heilig-Blut-Reiters Pater Placidus Kreuzberger OSB.
Blutritt-Training - ganz speziell
Die Siegels widmen sich der ihnen zugewachsenen Aufgabe mit Freude, Hingabe und bemerkenswertem Einsatz. Es ist ihr persönlicher Dienst zu Ehren des Heiligen Blutes von Weingarten, ihr Beitrag zum Gelingen des Blutritts und ihre Bitte um die Hilfe vom Heiligen Blut für Haus und Hof im Lichte der Tradition „vom Binger“. Und an der Notwendigkeit einer gründlichen Vorbereitung des Heilig-Blut-Reiters und seines Pferdes, Mittelpunkt eines jeden Blutritts, lässt Kurt keinen Zweifel aufkommen:
Unmittelbar nach Ostern beginnt „s’eigentliche Training“. Reiten will erlernt und geübt werden, Haltung und Würde können nicht dem Zufall überlassen bleiben: „Ross und Reiter müsset eine Einheit sei’“ und „d’r Reiter muss Vertrauen ins Pferd han und Freud’ am Reite’, des merkt ’s Ross!“, so umreißt Kurt die grundlegenden Voraussetzungen.
Zudem erfordern die frommen Handlungen des Heilig-Blut-Reiters eine ganz besondere Vorbereitung: „Segnen, hoch zu Ross mit einer Reliquienattrappe, Auf- und Absteigen mit dem roten Mantel und Ritt zum „Schmied nach Waldburg“ [2], um rechtzeitig die Hufe beschlagen zu lassen. Zumindest bis hierher können Blutritt-Vertraute Sinn und Zweck derlei Übungen noch gut verstehen. Wenn es aber um das ganz spezielle Blutritt-Training geht, sind nähere Erläuterungen ungemein hilfreich: Anreiten an der Haustreppe vom Binger und Stand üben „für d’ Übergabe von d’r Reliquie am Kirche’portal“, Ritt durch wehende, an der Wäscheleine hängende Leintücher „da wird d‘ Fahne’tauglichkeit a’trainiert“ und das Vorbeireiten am holzsägenden Nachbarn „wege’ d’r Lärmverträglichkeit“.
Dass es bei aller Ernsthaftigkeit viele Anlässe zum Schmunzeln gibt, versteht sich von selbst und dass so manches „Schnäpsle“ neue Energien weckt auch.
Unterstützung findet Familie Siegel seit geraumer Zeit bei Klaus Koch, dem stellvertretenden Rittmeister der Stadtgarde zu Pferd Weingarten, und Karl Kreuzer, dem allseits bekannten treuen Begleiter des Heilig-Blut-Reiters. Während sich Koch in den reiterlichen Belangen engagiert, kümmert sich Kreuzer in erster Linie um die Pferde und ihre Pflege. „Des isch uns e’ große Hilf’!“ wie Kurt und Thea gleich mehrfach betonen, besonders auch im Hinblick darauf, dass der Heilig-Blut-Reiter samt Schimmel punktgenau am Morgen des Blutfreitags im Gartenhof des Klosters bereit stehen muss für den großen Tag.
[2] Ich möchte erwähnen, dass der Schmiedmeister von Waldburg, der den Hufbeschlag durchführte, mein verstorbener Gette Hubert Amann war.
's Patereck
Hinter der Theke vom Binger, in einer Nische, lädt ein von einer Eckbank eingerahmter Tisch zum gemütlichen Verweilen. Wir befinden uns im sogenannten „Patereck“: An den Wänden, in Reih’ und Glied, hat der Gast alle Weingartener Heilig-Blut-Reiter im Blick, die auf Pascha und Mariano am Blutritt teilgenommen haben – allesamt Benediktinermönche der Abtei Weingarten, in vollem Ornat in vorbildlicher Haltung: Pater Placidus Kreuzberger OSB, Pater Dr. Markus Talgner OSB, Pater Martin Rieger OSB, Pater Nikolaus Dorner OSB, Pater Maurus Scheurenbrand OSB, Pater Thomas Ruoß OSB und Pater Pirmin Meyer OSB.Und man ahnt es gleich, „die Pater“ waren auch „unterm Jahr“ hier gerne Gast und „gern’ gesehen“, auch wenn’s mal keine Reitstunde oder sonstige Übung zu absolvieren gab! Da fand die stille, ernste Unterhaltung genauso ihren Raum wie die humorvoll und lebhaft erzählten Geschichten rund um das unerschöpfliche Thema vom Reiten und Blutfreitag: stets herzlich umsorgt von Thea und Kurt.
... auf dem Rücken der Pferde
Pater Placidus war der erste Heilig-Blut-Reiter „mit ’em Pascha“ und aus diesem Anlass wurde auch gleich das alte, brüchig gewordene „Klosterzaumzeug“ gegen das prächtige Siegelsche „Muschelzaumzeug“ ausgetauscht. „Des isch au’ barock“ war man sich angesichts des nunmehr weitaus gepflegteren Erscheinungsbilds des Schimmels gleich einig.
In diesen Jahren waren theoretische und praktische Ausbildung der Reiter noch in alleiniger Hand von Kurt und Thea, die vor allem für die Reitstunden verantwortlich war. Eine einmalige Begabung und Eigenart von Pascha war dabei eine nicht zu unterschätzende Erleichterung: „Der hat’s de’ Reiter selb’r bei’bracht, wie ma’ reitet.“
Pater Markus war „d’r Erste mit ’em Mariano“. Pascha musste „altershalber“ eingeschläfert werden. Es war für alle ein schwerer Abschied. Er wird als „ganz ideal’s Heilig-Blut-Reiter-Pferd“ in guter Erinnerung bleiben. Pater Markus meisterte seine heilige Pflicht mit Bravour und Mariano, in der Nähe Paschas an den Blutritt bestens gewöhnt, erweist sich bis zum heutigen Tage als würdiger Nachfolger.
Einmal, als Pater Martin und Thea über die Sieberatsreuter Felder ritten, gelangten sie in den nahen Wald und trafen unvermittelt auf Weihbischof Franz Kuhnle, der sich im kühlen Schatten ergehend, von den Mühen des bischöflichen Alltags erholte. „Oh je, jetzt müsset mir absteigen“ murmelte der Reitschüler etwas verlegen im Hinblick auf das mühsame Ab- und Aufsteigen im Freigelände. Er wollte doch den Bischof mit allem gebührenden Respekt begrüßen und „it eifach so von obe’ rab“. Dieses unsichere Vorhaben des künftigen Heilig-Blut-Reiters wurde allerdings von der gestrengen Reitlehrerin jählings untersagt: „Im Wald und mit zwei Ross’, da bring i’ Sie nimme’ ’nauf!“ Man reichte also dem Bischof erhaben zu Pferde sitzend leicht verunsichert die Hand. Der hohe Würdenträger, als Blutreiter mit derlei Unwägbarkeiten bestens vertraut, erwiderte leutselig den Gruß, wünschte alles Gute für den Blutritt und war auch schon hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.
Pater Nikolaus wurde dann schon von Klaus Koch in die Reiterei eingewiesen. Am Sonntag vor Blutfreitag sollte er bei einem Ausritt letzte Sicherheit gewinnen. Da stieg wie aus dem Nichts lärmend ein Schwarm krächzender Krähen auf. Erschreckt scheuten die Pferde. Pater Nikolaus wurde abgeworfen und – dem Heiligen Blut sei Dank – lehmig-weicher Grund hat den Aufprall gemildert. Ein leichtes für die Thea, die „dreckige Hos“ wieder zu richten, sehr schwer wären die Folgen einer ernsten Verletzung auszubügeln gewesen, wenige Tage vor dem Blutfreitag. Pater Nikolaus war „glimpflich dr’vo’komme“ und Tage später ein strahlender Heilig-Blut-Reiter.
Ein mustergültiger Reitschüler scheint Pater Maurus gewesen zu sein, der das Reiten diszipliniert von Grund auf erlernte. Und auch Pater Thomas verstand sich bestens mit „sei’m Mariano“ und wurde zum versierten und sicheren Reiter, der auf Marianos Rücken „echte“ Reiterfreuden erlebte. Die Pilger, denen er segnend begegnete, haben ihm diese Freude „scho’ vo’ weitem a’g’sehn“, ist sich Thea sicher.
Ganz andere Voraussetzungen brachte dann Pater Pirmin mit. Bereits während seines Studiums in Einsiedeln hatte er, wohl vorausahnend, das Reiten erlernt. Das dortige weitberühmte Gestüt bot ihm in vielerlei Hinsicht die besten Gelegenheiten. „Ab’r d’r Feinschliff“, das betont Kurt schmunzelnd, den hat er in Sieberatsreute erhalten.
Frauenlob
Dass Thea als gute Wirtin weithin bekannt und geschätzt ist, und ihren Gästen mit unvoreingenommener Herzlichkeit und Umsicht begegnet und ihnen dabei jeden Wunsch von den Augen abliest, haben die Heilig-Blut-Reiter in ganz besonderer Weise miterlebt. Dafür haben sie ihre geschätzte Gastgeberin oft und auch in aller Öffentlichkeit hoch gelobt.Ein solches Lob gebührt nun auch ihrer 86jährigen Mutter Anna Binger. Natürlich für ihren wundervollen Kartoffelsalat, vor allem aber für ihre freudige und treue Bereitschaft, die Kleidung der Heilig-Blut-Reiter akkurat und sachkundig zu pflegen. Wie oft sie ausgerissene Stege an die Hosen der Geistlichkeit nähte, kunstvoll das Bügeleisen schwang und wie viele Reißverschlüsse sie wieder gangbar machte, weiß sie wohl selbst nicht mehr. Gewiss ist aber, dass das würdige Erscheinungsbild der Blutreiter auch Anna Binger zu danken ist.
2014
Die Benediktinerabtei Weingarten gibt es nicht mehr, die Mönche haben ihr Kloster verlassen, um an anderer Stätte zu wirken. Der Familie Siegel und „’em ganze’ Binger“ ist dieser Abschied sehr schwer gefallen. Wer kann dies nicht verstehen!
Doch Blutfreitag und Blutritt haben Bestand. Der diesjährige Heilig-Blut-Reiter, Pfarrer Ekkehard Schmid von der Basilikagemeinde St. Martin in Weingarten, hat – freudig erwartet und begrüßt – dem Binger längst seinen Besuch abgestattet. Mit ihm hat ein erfahrener Blutreiter „seinen“ Mariano in Augenschein genommen, damit Ross und Reiter sich verstehen.
So wird auch diese Blutfreitagstradition vom Binger Bestand haben als wichtiger Beitrag zum Gelingen des Blutritts.
Wie immer wird Thea in der Bittwoche ihre Fußwallfahrt von Sieberatsreute aus begehen und mit Karl Kreuzer der Spur des Heiligen Blutes „um d’r Esch“ folgen. Und auch am diesjährigen Blutfreitag wird sie um 5 Uhr die Eucharistiefeier des Heilig-Blut-Reiters in der Basilika mitfeiern, während in Sieberatsreute Kurt „’s Ross herrichtet“ zum Transport – ausgestattet mit einer Durchfahrtsgenehmigung der Stadt Weingarten, damit der Heilig-Blut-Reiter auch ja pünktlich um 6.30 Uhr im Gartenhof des Klosters sein Pferd bewegen kann, damit „au’ d’ Aufregung nachlasst!“ Kurt und Karl kümmern sich dann umsichtig um den Heilig-Blut-Reiter und sein Pferd, um 6.55 Uhr steht er im „Torboge’“ und um 7 Uhr empfängt er die Heilig-Blut-Reliquie. Wie immer wird Kurt hoffen und bangen, „ob’s Pferd au’ schö’ ’na’geht“. Glücklich seien er und seine Thea, fügt er leise an, wenn der Heilig-Blut-Reiter dann „vom Ross her“ die Pilger segnet.
Beide begreifen diesen Heilig-Blut-Segen als Stärkung für ihr Leben und Arbeiten, in ihren Anliegen, für Familie und Haus und Hof. Gläubig stellen sie sich unter seinen Schutz, wie es bei ihnen in Sieberatsreute Brauch ist, von alters her.
Herzlichen Dank Kurt und Thea Siegel!
Manfred Roth